Psychische und körperliche Abhängigkeit
Der Begriff "Abhängigkeit" wird im Zusammenhang mit Medikamenten unterschiedlich verwendet. "Ich brauche das Medikament aus medizinischen Gründen", so verteidigen Betroffene gerne eine Langzeiteinnahme und fühlen sich in diesem Sinne von dem Medikament "abhängig". Neben diesem laienhaften Verständnis von "Abhängig-Sein" wird im wissenschaftlichen Sprachgebrauch häufig zwischen "psychischer" Abhängigkeit (im Sinne einer Abhängigkeit ohne körperliche Entzugserscheinungen) und einer "körperlichen" Abhängigkeit (im Entzug treten körperliche Entzugserscheinungen auf) unterschieden. Doch diese Differenzierung hat in den einschlägigen Diagnostikmanualen keinen Niederschlag gefunden.
Die Dichotomie zwischen psychischer und körperlicher Abhängigkeit erscheint ungünstig, weil der Begriff der psychischen Abhängigkeit suggeriert, dass es sich um eine Art "schlechte Gewohnheit" handelt, die Kraft des "festen Willens" zu beeinflussen sei. Dabei ist gerade die eingeschränkte willentliche Steuerung ein Kernkriterium von Abhängigkeitserkrankungen.
Dieser "unzureichenden Bremse" liegen biologische Veränderungen im Gehirn zugrunde, vergleichbar der veränderten Botenstoffsituation bei depressiven Störungen. Wenn die depressive Störung leicht ausgeprägt ist, gelingt es den Patientinnen und Patienten noch, durch willentliche Verhaltensänderung und geschickten Umgang mit den Symptomen die Erkrankung in den Hintergrund zu drängen. Bei schweren Depressionen ist dies nicht mehr möglich.
Diese Analogie gilt auch für Abhängigkeitserkrankungen. Je weiter die biologischen Veränderungen fortgeschritten sind (je länger die Abhängigkeit besteht, je größer die eingenommene Dosis eines Medikamentes ist), umso mehr verselbstständigt sich die Erkrankung.
Literaturempfehlung
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ) (Hrsg.) (2005): Pharmakovigilanz. Berlin. (Arzneiverordnung in der Praxis; Sonderheft)