Substanzen und Stoffgruppen

Es sind vor allem die folgenden Arzneimittelgruppen, die ein Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial aufweisen:

  • Benzodiazepine und deren Analoga (Zolpidem, Zopiclon, Zaleplon): In therapeutischen Dosen kann nach zwei bis vier Monaten eine Abhängigkeit entstehen, in sehr hohen Dosen schon nach etwa vier Wochen. Alle Mittel aus dieser Gruppe sind verschreibungspflichtig. Daher sollte bei der Verschreibung sorgfältig auf die Dauer der Verordnungen geachtet werden.
  • Barbiturate, die heute kaum noch Bedeutung haben (sie werden schwerpunktmäßig nur noch als Antiepileptika verwendet), können eine größere Euphorie als Benzodiazepine auslösen und werden daher oft wiederholt eingenommen. Insbesondere bei relativ geringen Dosierungen werden Patienten lebhafter und wacher, hohe Dosierungen führen dagegen - wie zu erwarten - zu verlangsamten Reaktionen. Dies führt (ähnlich wie beim Alkohol) dazu, dass Barbituratabhängige schon frühmorgens einige Schlaftabletten mit Barbitursäurederivaten einnehmen, um "auf Trab zu kommen".
  • Opiate und Opioide: In der kontrollierten Schmerztherapie wird die Gefahr eines Missbrauchs als umstritten angesehen. Es sollten daher bei der Verordnung Indikation, Dosierung und Dauer der Verordnung sorgfältig beachtet werden. Die meisten Mittel müssen auf einem Betäubungsmittelrezept verschrieben werden. Der dauernde nicht mehr indikationsgerechte Missbrauch über zu lange Zeit und mit zu großen Mengen führt insbesondere bei den stark wirkenden Mitteln zur Abhängigkeit. Bei dem nicht-verschreibungspflichtigen Hustenmittel Dextromethorphan sollte auf eine mögliche missbräuchliche Verwendung geachtet werden.
  • Stimulanzien (Methylphenidat, Modafinil, Amfepramon, Cathin, Phenylpropanolamin, Ephedrin): Es besteht die Gefahr, dass alle diese Mittel zunächst missbräuchlich angewendet werden (auch als Appetitzügler, als "Wachmacher" oder zum "Hirndoping"), viele der Mittel können aber auch zur Abhängigkeit führen.
  • Kopfschmerz- und Migränemittel: Arzneimittel aus dieser Gruppe (ob verschreibungspflichtig oder ohne Rezept in der Apotheke zu kaufen) können auf Dauer medikamentenverursachten Kopfschmerz auslösen und sollten daher höchstens drei Tage hintereinander und maximal fünfzehn Tage im Monat angewendet werden.
  • Nicht-verschreibungspflichtige Hypnotika (H1-Antihistaminika wie Diphenhydramin und Doxylamin): Diese Mittel sollten in der Selbstmedikation nicht länger als zwei Wochen angewendet werden. Ansonsten können nach dem Absetzen die ursprünglich als Behandlungsanlass aufgetretenen Schlafstörungen wieder auftreten.
  • Abführmittel: Viele solcher nicht-verschreibungspflichtigen Laxanzien werden zur Gewichtsreduktion missbraucht. Daher ist besondere Aufmerksamkeit angezeigt, wenn Mädchen oder junge Frauen häufig Abführmittel einkaufen.
  • Entwässerungsmittel (Diuretika): Diese Mittel sind verschreibungspflichtig und werden typischerweise bei der Behandlung von Ödemen oder von Hypertonie eingesetzt. Ein Missbrauch findet vor allem zur schnellen Gewichtsreduktion, zur "Entschlackung" und begleitend zum Doping beim Bodybuilding statt.
  • Vasokonstriktorische Rhinologika: Solche abschwellenden Nasentropfen oder -sprays führen nach einer Anwendung, die länger als fünf bis sieben Tage dauert, relativ rasch zu einem Rebound, also zu einem reflektorischen starken Anschwellen der Nasenschleimhaut. Das zieht eine oft monate- und jahrelange Verwendung dieser Mittel nach sich, wobei auf Dauer die Funktion der Schleimhaut zerstört wird.
  • Alkoholhaltige Arzneimittel: Vorsicht ist geboten bei allen Arzneimitteln, die auf Alkoholbasis im Handel sind. Hierzu gehören vor allem Geriatrika, Erkältungssäfte oder Melissengeist. Auch solche Mittel werden missbraucht und können eine bestehende Abhängigkeit unterstützen oder eine bereits behandelte erneut auftreten lassen.

Körperliche Entzugserscheinungen sind in der Regel Zeichen einer fortgeschrittenen Abhängigkeitserkrankung. Da diese Symptome von außen beobachtbar und zum Teil messbar sind (zum Beispiel Blutdruckanstieg im Alkoholentzug), erhalten sie insbesondere bei Menschen, die sich mit Suchterkrankungen nicht auskennen, eine besondere Bedeutung im Sinne einer Objektivierbarkeit und als Nachweis einer Erkrankung. Nachfolgende Substanzen rufen rasch eine starke körperliche Abhängigkeit hervor:

  • Benzodiazepine
  • Non-Benzodiazepine (Z-Drugs)
  • Barbiturate
  • Opiathaltige Medikamente (starke Schmerzmittel, codeinhaltige Hustenstiller)
  • Amphetamine
  • Narkosemittel

Zahlenmäßig am häufigsten werden die Benzodiazepine und Non-Benzodiazepine eingesetzt. Eine besonders intensive Diskussion gibt es um das Amphetamin Methylphenidat im Rahmen der ADHS-Behandlung bzw. als Medikament zur Leistungssteigerung. Eine Abhängigkeit von Narkosemitteln sieht man in der Regel nur bei Ärzten bzw. medizinischem Personal.

Medikamente, die ein deutlich niedrigeres Risiko zur Erzeugung einer körperlichen Abhängigkeit haben, sind Antihistamine (in apothekenpflichtigen Schlafmitteln, Antiallergika und apothekenpflichtigen Schmerzmitteln). Bei den apothekenpflichtigen und zum Teil auch rezeptpflichtigen Schmerzmitteln stehen besonders Kombinationspräparate mit Koffein oder Codein in der Kritik. Aber auch bei Monopräparaten sieht man immer wieder Abhängigkeitsentwicklungen, wobei hier von einer großen Dunkelziffer auszugehen ist, denn es besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Häufigkeit solcher Abhängigkeitsentwicklungen und der Inanspruchnahme des Suchthilfesystems.

Zu den Substanzen, die keine Abhängigkeit im engeren Sinne hervorrufen, gehören Laxanzien und Nasensprays bzw. Nasentropfen, da sie keinen direkten psychotropen Effekt haben. Deren regelmäßige Einnahme führt zu körperlichen Gegenregulationsmechanismen, die eine Art Teufelskreis in Gang setzen: Nasensprays oder -tropfen verengen die Gefäße, sodass die Nasenschleimhaut zunächst abschwillt. Um eine ausreichende Durchblutung sicherzustellen, reagiert der Körper mit einer Weitstellung der Gefäße und bildet zusätzlich Gefäße aus. Wenn die abschwellenden Medikamente weggelassen werden, schwellen die Nasenschleimhäute deshalb besonders heftig zu - für die Betroffenen Anlass, das Medikament weiter zu gebrauchen. Ähnlich sind die Mechanismen bei vielen Laxanzien.

Keine Abhängigkeit rufen Antidepressiva hervor. Allerdings kommt es hier auch häufig zu einem Missbrauch im Sinne eines "nicht-bestimmungsgemäßen Gebrauchs". Damit ist vor allem die Einnahme dämpfender Antidepressiva gemeint, die insbesondere polytoxikomane Patientinnen und Patienten nutzen. Aber auch die Einnahme von antriebssteigernden Antidepressiva (insbesondere SSRIs) ohne entsprechende Indikation fällt unter solche "nicht-bestimmungsgemäßen Gebrauchsmuster".

Seiteninfo

Text: Prof. Dr. Gerd Glaeske, Dr. med. Rüdiger Holzbach, Daniela Boeschen

Literaturempfehlung

Bundesapothekerkammer (BAK) (Hrsg.) (2008): Medikamente. Abhängigkeit und Missbrauch. Leitfaden für die apothekerliche Praxis. Berlin.

Bundesärztekammer (Hrsg.) (2007): Medikamente - schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit. Leitfaden für die ärztliche Praxis. Köln.

Glaeske, Gerd (2011): Medikamente - Psychotrope und andere Arzneimittel mit Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.): Jahrbuch Sucht 2011. Geesthacht: Neuland. 73-96.

Poser, Wolfgang; Poser, Sigrid (1996): Medikamente - Missbrauch und Abhängigkeit. Entstehung - Verlauf - Behandlung. Stuttgart: Thieme.

Benkert, Otto; Hippius, Hans (2008): Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. Berlin: Springer.