Missbrauch

Von Medikamentenmissbrauch spricht man, wenn Medikamente ohne eine entsprechende Indikation, in unangemessen hoher Dosierung oder länger als notwendig eingenommen werden. Die Diagnose der Medikamentenabhängigkeit orientiert sich an der ICD 10 (International Classification of Diseases and Related Health Problems, 10. Revision), einem internationalen Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Praxis zeigt sich allerdings, dass dieses Diagnosesystem bestimmte Formen der Abhängigkeit von Arzneimitteln nicht ausreichend erfasst. Schlaf- und Beruhigungsmittel aus der Familie der Benzodiazepine jedoch werden oft jahrelang in gleichbleibender, ärztlich verordneter Menge eingenommen, ohne dass die Dosis gesteigert wird. Diese Medikamente erzeugen erhebliche, meist nicht erkannte Nebenwirkungen. Erste Stufe dieser Nebenwirkungen ist der Wirkverlust – das Medikament hilft nicht mehr so gut wie zu Beginn der Behandlung. Gleichzeitig aber führt ein Weglassen des Medikamentes (scheinbar) zu einem erneuten Auftreten der Ausgangsbeschwerden. Mit dem Gedanken, man „brauche“ das Mittel, nehmen Patienten das Medikament also weiter ein – statt mit der Vorstellung, möglicherweise davon abhängig zu sein. In der nächsten Stufe treten Nebenwirkungen auf, die wegen der Ähnlichkeit zu den Ausgangsbeschwerden und des schleichenden Beginns nicht als solche erkannt werden. Da bei diesen Veränderungen die Kriterien einer Abhängigkeit nicht erfüllt sind, wird von einer „Niedrigdosisabhängigkeit“ gesprochen. Das Problem der Medikamentenabhängigkeit tritt erst in einer späteren Phase der Einnahme oder bei polyvalentem Konsum (d. h. bei gleichzeitigem oder abwechselndem Konsum von Alkohol oder anderen Drogen) auf.

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Text: Dr. med. Rüdiger Holzbach, Karen Hartig