Rechtsfragen

Im Umfeld der Verordnung von Arzneimitteln mit Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial gibt es unterschiedliche Aspekte, die zu berücksichtigen sind:

  • Ärztinnen und Ärzte müssen ihre Patientinnen und Patienten über eine potenzielle Abhängigkeitsproblematik aufklären, der Hinweis auf den Beipackzettel entlastet die Ärztin, den Arzt im Zweifelsfall nicht und entbindet ihn nicht von der Aufklärungsverpflichtung. Der Hinweis auf eine mögliche Abhängigkeit bei fortgesetztem Gebrauch muss deutlich angesprochen, die Dauer der Verordnung muss begrenzt werden (Hart, 2003).
  • Bei der Verordnung von Betäubungsmitteln (BtM) muss das besondere Rezeptformular beachtet werden. Betäubungsmittel werden über das Betäubungsmittelgesetz definiert und sind in den Anlagen I bis III aufgeführt. Diese Anlagen können dann geändert werden, wenn die Meldungen über Missbrauch und Abhängigkeit nach einer strikteren „Verordnungspolitik“ verlangen (z. B. im Zusammenhang mit Rohypnol, das in die Anlage III „hochgestuft“ wurde und jetzt nur noch auf einem BtM-Rezept verordnungsfähig ist).
  • Ärztinnen und Ärzte, die für Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung Rezepte ausstellen, sind verpflichtet, die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zu berücksichtigen (Arzneimittel-Richtlinie/AM-RL). Die derzeit gültige Fassung ist am 12. November 2011 in Kraft getreten. Im Zusammenhang mit Missbrauch und Abhängigkeit gibt es verschiedene Hinweise:

    Im § 8 heißt es z. B.: „Vor einer Verordnung sollte sich die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt über die Medikation der oder des Versicherten informieren. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Verordnungen durch andere Ärztinnen und Ärzte sowie auf die Selbstmedikation der oder des Versicherten.“

    Die Passage (3), 4 des § 9 „Wirtschaftliche Verordnungsweise“ ist von besonderer Wichtigkeit: „Vor jeder Wiederholung einer Verordnung von Arzneimitteln soll geprüft werden, ob diese erforderlich ist und ob die verordnete Menge mit der vorgesehenen Anwendungsdauer übereinstimmt; dabei ist insbesondere auf Arzneimittelmissbrauch, -gewöhnung oder -abhängigkeit zu achten.“

    Und schließlich heißt es im § 11, 5: „Die Versorgung mit Betäubungsmitteln im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung setzt eine Verordnung der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes auf einem ordnungsgemäß ausgestellten Betäubungsmittelrezept gemäß § 8 BtMVV voraus. Die Belieferung von Betäubungsmittelverschreibungen ist nur innerhalb von sieben Tagen zulässig.“
  • Ärzte müssen bedenken, dass die Verordnung von einschlägigen Tabletten an bereits tablettensüchtige Patienten/-innen als Körperverletzung geahndet werden kann. In einem Urteil des Oberlandesgerichts in Frankfurt vom 21.8.1987 (Aktenzeichen 1 Ss 219/87) heißt es hierzu u. a.:

    „... Die Arzneimittelabhängigkeit stellt einen pathologischen Zustand dar, sie ist eine Abweichung vom Normalzustand der Gesundheit. Nicht nur das Hervorrufen, sondern auch das Aufrechterhalten einer Tablettensucht durch einen Arzt stellt einen vom Normalzustand abweichenden [Zustand], einen Krankheitszustand, dar, weil dadurch eine Perpetuierung der Sucht eintritt und Therapiemöglichkeiten zerstört oder zumindest erschwert werden. Medizinisch unbegründete Verschreibungen von Suchtmitteln an Suchtkranke können deshalb einen Körperverletzungstatbestand erfüllen ...“

    Ein Patient, dem jahrelang das Mittel Rohypnol® von einem Arzt in Bremen verordnet worden war, bekam im Jahre 2004 ein „Schmerzensgeld“ von 75.000 Euro zugesprochen, weil der verordnende Arzt seine Sorgfaltspflicht vernachlässigt hat und der Patient durch seine fortwährende Verordnung abhängig geworden war (AZ Schlichtungsstelle Bremen für Arzthaftpflichtfragen 2458/00).

Weitere Informationen zu dem Fall finden Sie in Medienberichten von Zeit Online (15.01.2004) und RP Online (16.01.2004)

  • Apotheker müssen den § 17, Absatz 8 der Apothekenbetriebsordnung berücksichtigen. Danach hat das pharmazeutische Personal einem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegenzutreten. An erster Stelle steht die Rücksprache mit der Ärztin, dem Arzt bzw. mit den Ärzten, die das jeweilige Mittel verordnet haben. Außerdem sollen die Apothekerinnen und Apotheker adäquate Informationen über Arzneimittelmissbrauch und -abhängigkeit sowie deren Folgen vermitteln. Die Vermittlung an eine Suchtberatungsstelle ist ebenfalls ein zu erwartendes Angebot in der Apotheke (motivierende Gesprächsführung) (BAK, 2008).

    Patientinnen und Patienten können in erhebliche rechtliche Schwierigkeiten kommen, wenn sie ohne medizinisch begründbare Notwendigkeit „berauschend wirkende Arzneimittel“ einnehmen, so jedenfalls ein Gerichtsurteil in Anlehnung an die Rechtsprechung bei Alkohol (BSG, Urteil 1985-11-27 AZ 2 RU 75/84). So wurde einer Witwe, deren Mann während einer Betriebsfahrt verunglückt war, die Auszahlung einer Hinterbliebenenrente verweigert, weil er zum Zeitpunkt des Unfalls unter Benzodiazepineinfluss stand. Der Anlass zur Einnahme eines Medikaments wird vom BSG ebenso wenig berücksichtigt wie beim Alkohol. „Maßgebend für das Bestehen oder Nichtbestehen des Unfallversicherungsschutzes ist daher, wie sich die auf Alkohol oder andere berauschend wirkende Mittel beruhende Fahrtüchtigkeit eines Kraftfahrers im zu entscheidenden Einzelfall ausgewirkt hat, d. h., ob diese allein wesentliche Bedingung des Unfalls gewesen ist.“ Das Bundessozialgericht (BSG) stellt auf der Basis eines Gutachtens weiter fest, „dass alle auf das zentrale Nervensystem wirkenden Substanzen potenzielle ‚andere berauschende Mittel‘ sind, die einen dem Alkohol gleichzusetzenden Zu-stand hervorrufen können. Dies trifft nach dem genannten Gutachten insbesondere auf Valium 10® und Betadorm® zu, da die in diesen Medikamenten enthaltenen Wirkstoffe eine besonders hohe potenziell berauschende Wirkung haben, die sich bei relativ niedriger therapeutischer Einnahmedosierung entfalten und zu einem Zustand der Fahruntüchtigkeit führen kann.“ (Sozialrecht, 1986: 220). Es wäre also wichtig, wenn sich Patientinnen und Patienten selber fragen würden, ob sie bereits abhängig sind. Ein Katalog von sieben Fragen kann da helfen:
Zeichen von Medikamentenabhängigkeit (nach Ernst, Füller, 1988)
Eine behandlungsbedürftige Medikamentenabhängigkeit können Sie an folgenden Merkmalen erkennen:
  • Sie müssen eine bestimmte Menge an Schmerz-, Schlaf- oder Beruhigungsmitteln einnehmen, um sich wohlzufühlen oder bestimmte Belastungen zu bewältigen.
  • Körperliche und seelische Beeinträchtigungen treten auf, sobald Sie die Medikamente nicht bekommen. Ein drängendes Verlangen nach „Ihrem“ Mittel treibt Sie um.
  • Die früher beruhigende Wirkung des Mittels schlägt in eine andere um.
  • Sie merken, dass sich Ihre Wahrnehmung und Ihr Verhalten verändern. Sie sind zittrig oder völlig teilnahmslos, haben Blackouts oder Halluzinationen. Die Beziehungen zu anderen Menschen werden Ihnen immer gleichgültiger.
  • Sie beginnen sich selbst und andere zu beschwindeln, indem Sie die tatsächliche Menge des Konsums verheimlichen bzw. als geringer angeben.
  • Sie versuchen mit den verschiedenen Methoden, Ihre Medikamente zu bekommen: Sie belügen beispielsweise Ärztinnen und Apotheker, oder Sie fälschen Rezepte. Sie legen Vorräte an.
  • Sie spüren deutlich, dass Sie den Konsum Ihrer Arzneimittel nicht mehr aus eigener Kraft aufgeben können, bzw. bei den Versuchen dazu scheitern Sie immer wieder.

Quelle: DHS (Hrsg.): Medikamentenabhängigkeit. Suchtmedizinische Reihe Band 5. S161

Seiteninfo

Text: Prof. Dr. Gerd Glaeske, Dr. med. Rüdiger Holzbach, Daniela Boeschen

Literaturempfehlung

Hart, Dieter (2003): Arzneimittelinformation zwischen Sicherheits- und Arzthaftungsrecht. Fach- und Gebrauchsinformation, ärztliche Aufklärung und Pflichtverletzung. In: Medizinrecht, 21(11), 603-609.

Bundesapothekerkammer (BAK) (Hrsg.) (2008): Medikamente. Abhängigkeit und Missbrauch. Leitfaden für die apothekerliche Praxis. Berlin.

Ernst, A.; Füller, I. (1988): Schlucken und Schweigen. Köln: Kiepenheuer & Witsch.