Betroffene berichten

Birgit, 54

"Meine Mutter war immer für uns da. Wir kannten es gar nicht anders. Sie hat es wohl ebenso gesehen: Sie musste funktionieren. Egal wie viele Sorgen sie sich um Mann, Kinder und Enkel machte. Egal wie sehr ihre Kraft nachließ und ihr die Anforderungen über den Kopf wuchsen. Egal wie viele Erinnerungen an Kriegserlebnisse wieder hochkrochen. Als ihr Sorgen und Ängste den Schlaf raubten, holte sie sich Tabletten. Dann 'funktionierte' sie wieder. Erst einmal.

Die Schlaftabletten, die meine Mutter bekam, sollte man nicht länger als ein paar Wochen einnehmen. Maximal acht. Meine Mutter nahm sie über ein Jahrzehnt. Anfangs wechselte sie die Ärzte. Dann fand sie eine Ärztin, die brauchte sie nur anzurufen, schon bekam sie ihr Rezept. Das hat sie uns im Nachhinein erzählt.

Wir brauchten lange, um zu erkennen, dass unsere Mutter zwar alt war, aber ihre Antriebslosigkeit und geistige Abwesenheit nicht vom Alter kamen. Bei einem jungen Junkie hätten wir sofort gedacht: Er ist bedröhnt. Aber wer denkt das von einer Oma? Im Grunde war sie es auch. Mit 79 Jahren entschloss sie sich, in eine Klinik zu gehen: zum Entzug. Es hat sie viel Kraft gekostet. Doch heute ist sie viel lebendiger und 'jünger'."

Auszug aus der Broschüre:
DHS 2014:Frau - Sucht - Gesundheit: Informationen, Tipps und Hilfen für Frauen, deren Angehörige Probleme mit Rausch- und Suchtmitteln haben, S. 16

Heike, 61

"Seit fast 15 Jahren nehme ich abends eine Schlaf- und Beruhigungstablette. Es war eine schwierige Zeit damals. Beide Kinder waren aus dem Haus, und ich dachte, nun mehr Zeit für mich und meinen Mann zu haben. Da erkrankte meine Mutter an Alzheimer. Die ersten Jahre ging es noch, aber es wurde immer mehr. Fast neun Jahre habe ich sie gepfl egt, bevor sie vor zwei Jahren gestorben ist. Fünf Jahre lang waren wir nicht einen Tag im Urlaub.

Ich war gereizt, erschöpft und niedergeschlagen. Unser Hausarzt hat mir dann ein Schlaf- und Beruhigungsmittel verordnet; jedes Quartal habe ich mir mein Rezept abgeholt.

Jetzt hat er aufgehört und seine Praxis einer Kollegin übergeben. Sie hat mir zum ersten Mal erklärt, dass ich möglicherweise abhängig bin, und mir empfohlen, das Medikament schrittweise abzusetzen. Sie wird mich dabei unterstützen."

Auszug aus der Broschüre
DHS 2021: Frau - Sucht - Gesundheit: Informationen, Tipps und Hilfen für Frauen. Alkohol, Medikamente, Tabak, S. 8