Schwangerschaft und Stillzeit

In Erinnerung an den „Contergan-Skandal“ besteht nach wie vor eine verbreitete Unsicherheit bezüglich der Risiken von Fehlbildungen und Schäden bei Neugeborenen durch die Einnahme von Medikamenten während Schwangerschaft und Stillzeit. Arzneimittel mit Suchtpotenzial bergen sehr unterschiedliche Risiken, die im Falle der medizinisch notwendigen Verordnung an Schwangere und stillende Mütter differenziert betrachtet werden sollten.

Von der Vielzahl der in Deutschland erhältlichen Medikamente können einzelne Wirkstoffe das Risiko angeborener Fehlbildungen bei Kindern erhöhen. Diese Eigenschaft eines Arzneimittels nennt man Teratogenität. Der bekannteste und folgenschwerste Fall eines solchen Medikaments betrifft das im Jahr 1957 eingeführte Schlafmittel „Contergan®“ mit dem Wirkstoff Thalidomid, dessen Einnahme während der Schwangerschaft zu schwerwiegenden Missbildungen bei den Neugeborenen führte.

Da Medikamente nicht an Schwangeren getestet werden (können), besteht trotz vorgeschalteter Tierversuche bei neu zugelassenen Medikamenten immer ein Risiko. Je länger ein Medikament auf dem Markt ist, umso häufiger wurde es auch bei Schwangeren eingesetzt (aus Unwissenheit über die Schwangerschaft oder unter Abwägung des Risikos der Nichtbehandlung) und umso besser kann die Gefahr für die Schwangerschaft und das Ungeborene aufgrund bestehender Erfahrungen eingeschätzt werden.

Für die Empfindlichkeit des Embryos gegenüber den Einflüssen schädlicher Medikamente ist die Phase der Schwangerschaft entscheidend. Vor der Einnistung in der Gebärmutter scheint das Fehlbildungsrisiko gering zu sein; zwischen dem 15. und 60. Schwangerschaftstag ist in der Organentwicklungsphase (Embryonalstadium) das Risiko von Fehlbildungen am höchsten. In der folgenden Fetalphase können schädliche Stoffe die Entwicklung der Gewebe und die Reifung der Organfunktionen beeinträchtigen. So kann es zu Funktionsstörungen wie Intelligenzdefiziten und späteren Verhaltensauffälligkeiten kommen.

Bei Medikamenten mit Abhängigkeitspotenzial bestehen in den verschiedenen Schwangerschaftsphasen unterschiedliche Risiken, die im Einzelfall zu berücksichtigen sind. Nicht alle dieser Medikamente führen zu erkennbaren Schäden beim Neugeborenen, es muss aber z. T. mit Entzugserscheinungen nach der Geburt gerechnet werden.

Besonders schwierig stellt sich die Situation für chronisch kranke Schwangere dar, die einer kontinuierlichen Behandlung bedürfen (z. B. bei psychischen Erkrankungen, Rheuma oder auch Epilepsie).

Auch während der Stillzeit sind Medikamente möglicherweise ein Risiko für das Kind, da die Wirkstoffe über die Muttermilch weitergegeben werden können.

Seiteninfo

Text: Dr. med. Rüdiger Holzbach, Karen Hartig

Literaturempfehlung

Schaefer, Christof et al. (2011): Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit. 8. Auflage. München: Urban & Fischer.