Barbiturate

Arzneimittel, die Barbitursäurederivate enthalten, wirken auf den Neurotransmitter Gamma-Aminobuttersäure (GABA von Gamma Aminobutyric Acid). Dieser Botenstoff ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter im Zentralnervensystem. Durch seine Wirkung werden Beruhigung und Schlaf ausgelöst. Je nach Typ des Barbitursäurederivats ist die Wirkdauer der Mittel kurz, mittel oder lang. Ansonsten sind sich die Mittel in den meisten pharmakologischen Wirkungen ähnlich, das Gleiche gilt auch für die unerwünschten Wirkungen.

Alle Barbiturate wirken sedativ (beruhigend), hypnotisch (schlafanstoßend und -fördernd) sowie antikonvulsiv (krampflösend). Aus diesen charakteristischen Wirkungen leiten sich auch die Indikationen für diese Mittel als Beruhigungs- und Schlafmittel sowie als Mittel gegen Krampfleiden (z. B. gegen Epilepsie) ab. Als Beruhigungs- und Schlafmittel werden sie allerdings heute nicht mehr eingesetzt, hier werden andere Mittel bevorzugt (vor allem die Benzodiazepine und verwandte Stoffe).

In hohen Dosen führen Barbiturate zur Vollnarkose bzw. zum Koma. Barbiturate verändern den physiologischen Schlafrhythmus, der erholsame Schlaf mit seinen rund fünf REM-Phasen pro Nacht (REM steht für Rapid Eye Movement, also Phasen der Erregung und Träume) wird stark unterdrückt. Eine längerfristige Anwendung von Arzneimitteln, die Barbitursäurederivate enthalten, führt zur Toleranzentwicklung: Die beruhigende und schlafanstoßende Wirkung lässt nach, die Dosierung muss gesteigert werden und es kommt zur Abhängigkeit. Die Einnahme von Barbitursäurederivaten hat immer wieder zu Vergiftungen geführt, mit ihrer Anwendung wurden auch viele Suizide begangen.

In niedrigen Dosierungen sind die psychomotorischen Eigenschaften eingeschränkt, die Wirkung ist ähnlich wie beim Alkohol. Langwirksame Mittel führen zur Kumulation im Körper mit Hang-over-Effekten und damit zu gravierenden Beeinträchtigungen der Konzentration, der kognitiven Fähigkeiten und der Gangsicherheit. Gerade bei älteren Menschen sind immer wieder Stürze mit schwerwiegenden Brüchen beschrieben worden.

Die früher viel gebrauchten barbitursäurehaltigen Mittel sind seit 1969 durch Schlaf- und Beruhigungsmittel aus der Benzodiazepin-"Familie" ersetzt worden, die weniger stark den physiologischen Schlafablauf beeinträchtigen und die auch weniger toxisch sind. Daher haben die barbitursäurehaltigen Schlaf- und Beruhigungsmittel heute kaum noch Bedeutung. Alle noch im Markt befindlichen barbiturathaltigen Arzneimittel (z. B. solche zur Behandlung der Epilepsie) unterliegen der Rezeptpflicht.

Wenn Barbitursäurederivate über längere Zeit eingenommen werden, wirken sie stimmungshebend und aktivierend (paradoxe Wirkung), nach der Einnahme hoher Dosierungen können auch rauschartige Zustände auftreten. Menschen, die einen Missbrauch mit Barbituraten betreiben, streben allerdings eher ein wohliges Dahindämmern an, verbunden mit einer leichten Euphorie. Besonders problematisch sind die verstärkenden Wirkungen durch Alkohol oder der intravenöse Gebrauch.

Barbiturate ähneln in ihren Langzeitnebenwirkungen im Wesentlichen den Nebenwirkungen der Benzodiazepine. Barbiturate haben aber insgesamt eine schlechtere Verträglichkeit und sind bei Überdosierung deutlich gefährlicher. Während Benzodiazepine am GABA-Rezeptor nur in Anwesenheit von GABA wirken können und somit in ihrer Wirkung limitiert sind, wirken Barbiturate auch alleine am GABA-Rezeptor. Barbiturate sind auch im Hinblick auf ihre Wechselwirkungen mit anderen Substanzen wesentlich problematischer als die Benzodiazepine.

Aus einer Überdosierung von Barbituraten resultieren eine Atemdepression, Bradykardie, schockähnliche Zustände, tiefe Bewusstlosigkeit, Hypotonie, im Verlauf gegebenenfalls eine Pneumonie und bei einer entsprechend schweren Intoxikation tritt der Tod entweder aufgrund der Atemlähmung oder der unzureichenden kardialen Leistung ein. Die Behandlung der akuten Intoxikation bedarf intensivmedizinischer Therapie, gegebenenfalls Magenspülung (in Bauchlage), Hämodialyse und bei einigen Barbituraten auch eine alkalisierende Diuresetherapie.

Barbiturate führen im Laufe der Einnahme zu einer Toleranzentwicklung, woraus gegebenenfalls eine Dosissteigerung resultiert. Dem liegen zwei Mechanismen zugrunde: Die Enzyminduktion hat einen beschleunigten Abbau in der Leber zur Folge (unter anderem Ursache für die Wechselwirkung mit vielen anderen Medikamenten) und eine im Verlauf geringere Empfindlichkeit der Nervenzellen. Bei einer Langzeiteinnahme von Barbituraten treten deshalb die beruhigenden und schlafanstoßenden Wirkungen in den Hintergrund, weshalb die Dosis gesteigert wird mit einem immer geringeren Effekt. Dafür treten Stimmungsschwankungen mit Gereiztheit, Gleichgültigkeit und kognitiv-mnestischen Defiziten auf. Im Verlauf der Einnahme kommt es zu einer Wirkumkehr, sodass die Patienten morgens die Schlaftabletten einnehmen, um wach zu werden und aktiv sein zu können.

Durch die nur noch geringe Verbreitung der Barbiturate kommen Barbituratabhängige nur noch selten ins Suchthilfesystem. Leichte Entzugssyndrome sind gekennzeichnet durch Unruhe, Schlafstörungen, gereizte Verstimmungen, Ängstlichkeit und Tremor. Auch frontal betonte Kopfschmerzen treten häufig auf. Niemals dürfen Barbiturate schlagartig abgesetzt werden, da insbesondere bei höher genommenen Dosierungen durch Entzugskrampfanfälle und Delir-Risiko eine vitale Bedrohung entstehen kann.

Freser und Mitarbeiter untersuchten in den 1950er Jahren den Zusammenhang zwischen Dosis und möglichen Entzugskomplikationen: Dosierungen unter 400 mg bergen keine wesentlichen Risiken, bei 600 mg besteht ein 10%iges Entzugskrampfanfallsrisiko. Bei 900 mg und mehr entwickeln etwa drei Viertel nach schlagartigem Absetzen Entzugskrampfanfälle und rund zwei Drittel ein Entzugsdelir. Damit liegt das Risiko im Entzug für Barbiturate deutlich höher als bei Alkohol oder Benzodiazepinen.

Barbiturate sollten deshalb schrittweise über mehrere Wochen reduziert werden. Poser und Poser (1996) empfehlen für den Entzug Phenobarbital, da dieses gut zu messen sei. Kritisch ist hierbei aber die sehr lange Halbwertszeit von 96 Stunden anzumerken, die nur bei Barbital ähnlich lange ist. Somit ergibt sich bei Umstellung von einem Präparat mit kürzerer Halbwertszeit zunächst durch den kumulativen Effekt eine steigende Wirkstoffkonzentration.

Die Entzugserscheinungen dauern bei Barbituraten über das eigentliche Absetzen hinaus häufig noch für einige Wochen an. Im Anschluss kann ein Postentzugssyndrom mit vegetativer und emotionaler Labilität auftreten - Dauer zwischen einem viertel bis zu einem halben Jahr.

In der wissenschaftlichen Literatur finden sich kaum Studien zu diesem Thema. Insgesamt dürfte die Prognose vergleichbar sein mit der bei den Benzodiazepinen.

Seiteninfo

Text: Prof. Dr. Gerd Glaeske, Dr. med. Rüdiger Holzbach, Daniela Boeschen

Literaturempfehlung

Mutschler, Ernst et al. (2008): Arzneimittelwirkungen. Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.

Poser, Wolfgang; Poser, Sigrid (1996): Medikamente - Missbrauch und Abhängigkeit. Entstehung - Verlauf - Behandlung. Stuttgart: Thieme.

Holzbach, Rüdiger (2005b): Die Langzeiteinnahme von Benzodiazepinen – Weiter verschreiben oder stoppen? In: Der Neurologe & Psychiater, 10, 45-47.