Antidepressiva

Unter der Substanzgruppe der Antidepressiva werden ganz unterschiedliche Wirkstoffe zusammengefasst. Die Gruppennamen der antidepressiv wirkenden Mittel beziehen sich sowohl auf chemische wie pharmakologische Charakteristika: Es gibt tri- und tetrazyklische Substanzen (die Moleküle weisen drei oder vier Ringe im Molekül auf), selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, abgekürzt SSRI (Selective Serotonine Re-uptake Inhibitors), Dopamin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NaRI für Noradrenalin Re-uptake Inhibitors) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI für Serotonin Noradrenalin Re-uptake Inhibitors). Daneben werden Monoaminooxidase-Hemmer (MAO-Hemmer) angewendet, ebenso Präparate mit Lithium zur Vorbeugung von Rückfällen bei manischen Depressionen und pflanzliche Mittel mit dem Extrakt aus Johanniskraut.

Die üblicherweise verordneten Antidepressiva beeinflussen den bei Depressionen veränderten Stoffwechsel im Gehirn und die entsprechenden Botenstoffe. Zu Beginn einer Behandlung greifen sie im Gehirn in die Transportsysteme der Botenstoffe Noradrenalin, Serotonin und Dopamin ein und sorgen dafür, dass diese Stoffe nicht, wie üblich, rasch abgebaut werden, sondern dass mehr von ihnen verfügbar bleibt. Nach einigen Tagen oder höchstens Wochen verändern sich die Empfindlichkeiten der Rezeptoren an den Nervenzellen im Gehirn und damit die Mechanismen, mit denen Signale von einer Nervenzelle zur anderen übertragen werden. Dann erst setzt bei vielen dieser Mittel der antidepressive Effekt ein.

Antidepressiva werden üblicherweise bei mittelschweren bis sehr schweren Depressionen eingesetzt, hier gilt die therapeutische Wirksamkeit als belegt. Leichte Depressionen vergehen häufig nach einiger Zeit von selbst, es gibt nur selten Gründe, solche Depressionen auch mit Arzneimitteln zu behandeln. Wenn eine Therapie mit Antidepressiva erforderlich erscheint, sollte sie 6 bis 18 Monate dauern, manchmal muss sie auch lebenslang fortgesetzt werden.

Aus der Art, wie ein Antidepressivum auf die Botenstoffe wirkt, kann nicht geschlossen werden, welches Mittel sich besonders eignet - Antidepressiva wirken nämlich nicht sehr spezifisch. Im Prinzip kann man davon ausgehen, dass alle Substanzen die Symptome mehr oder weniger stark bessern. Zu prüfen ist daher, welche Symptome im Vordergrund stehen. Oftmals sollen zunächst Angst und Unruhe gemildert und ein ungestörter Schlaf ermöglicht werden. Wenn solche Symptome im Vordergrund stehen, eignen sich besonders trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin. Sind es die Angststörungen, ist z. B. Imipramin zu bevorzugen. Wenn einem Menschen mit Depressionen die Aktivität fehlt, sind z. B. SNRI als Mittel in Betracht zu ziehen, weil sie kaum dämpfend wirken. Bei älteren Menschen mit Depressionen können SSRI eingesetzt werden, weil sie weniger Störungen am Herzen verursachen als trizyklische Mittel. MAO-Hemmer kommen dann in Frage, wenn die Depression mit Antriebshemmung auftritt, chronisch verläuft und mit vermehrtem Schlafbedürfnis, gesteigertem Appetit und Stimmungsschwankungen einhergeht. Pflanzliche Mittel mit Johanniskrautextrakt wirken ähnlich wie SSRI, sie sollten aber nur bei leichten oder mittelschweren Depressionen eingesetzt werden. Antidepressiva werden auch bei Angst- und Zwangsstörungen verschrieben.

Grundsätzlich sollte bei der Behandlung von Depressionen darauf geachtet werden, dass sich viele Patientinnen und Patienten in einer derart verzweifelten Gemütslage befinden, dass sie im Suizid den einzigen Ausweg aus ihrer Situation sehen. Dies ist bei einer Behandlung mit Antidepressiva deshalb wichtig, weil es einige Tage, manchmal auch Wochen dauern kann, bis die antidepressive Wirkung der Mittel einsetzt. Daher kann es notwendig sein, bei besonders gefährdeten Menschen trotz der Behandlung mit Antidepressiva in den ersten Wochen besonders aufmerksam den Behandlungsverlauf zu beobachten, möglicherweise sogar kurzfristig ein zusätzliches Mittel (z. B. ein benzodiazepinhaltiges Präparat) begleitend zu verabreichen. Eine solche vorübergehende und ergänzende Behandlung sollte vor allem im Zusammenhang mit der Anwendung von SSRI in Betracht gezogen werden.

Neuere Studien weisen übrigens darauf hin, dass die Verträglichkeit von SSRI oder anderen neueren Antidepressiva gegenüber den klassischen trizyklischen Antidepressiva nicht grundsätzlich als besser eingestuft werden muss, z. B. im Hinblick auf Suizide und Herzinfarkte. Antidepressiva werden nie alleine als Suchtstoffe genutzt, sie werden allenfalls zur Verstärkung von Suchtmitteln eingesetzt. Insbesondere bei den neueren Antidepressiva (z. B. bei den SSRI) kann es allerdings nach längerer Einnahmezeit zu Absetzproblemen kommen, daher sollte die Dosierung am Ende einer Behandlung langsam reduziert ("ausgeschlichen") werden. Bis auf niedrig dosierte Johanniskrautextrakt-Präparate sind alle Antidepressiva verschreibungspflichtig.

Viele Suchtkranke nehmen während eines Entzugs zur Behandlung depressiver Symptome Antidepressiva ein. Oft wird diese Einnahme auch nach einer Suchtbehandlung fortgesetzt, oftmals ohne Kontrolle durch eine Ärztin oder einen Arzt. Dem bestimmungsgemäßen und indizierten Gebrauch folgt damit ein Missbrauch, nämlich eine nicht-bestimmungsgemäße Anwendung. Dies bedeutet allerdings nicht, dass solche Antidepressiva ein eigenes Suchtpotenzial haben. Zu beachten ist jedoch, dass Menschen mit Suchtkrankheiten häufig auch solche Arzneimittel missbräuchlich verwenden, die kein eigenes Suchtpotenzial aufweisen.

Da Antidepressiva sowohl zur Akut- als auch zur Langzeittherapie depressiver Störungen (zum Teil auch zur Behandlung von Ängsten oder Zwängen) zugelassen sind, ist bei therapeutischen Dosierungen von einem nur geringen Risiko von Folgeschäden auszugehen. Bei tri- und tetrazyklischen Antidepressiva besteht die Möglichkeit, dass die Reizweiterleitung am Herzen gestört wird, ein Harnverhalt oder Blutbildveränderungen ausgelöst werden. Vereinzelt kann es auch zu einer Erhöhung der Leberwerte kommen. Das Risiko für diese Nebenwirkungen steigt mit der Dosis.

Bei selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) besteht bei steigenden Dosierungen das Risiko für ein serotonerges Syndrom. Dies geht einher mit Ruhelosigkeit bis hin zu Agitiertheit, Schwitzen, Kopfschmerzen, Tachykardie und gastrointestinalen Beschwerden.

Da Antidepressiva nicht zu den Substanzen gehören, die eine Abhängigkeit hervorrufen, treten beim Absetzen keine Entzugserscheinungen auf. Sehr wohl sollten diese Substanzen trotzdem nicht schlagartig abgesetzt werden, sondern je nach vorangegangener Einnahmedauer über Tage bis Wochen ausgeschlichen werden. Insbesondere bei der Einnahme als Rezidivschutz bei phasenhaft auftretenden affektiven Erkrankungen sollte dies im Hinblick auf einen neuerlichen Krankheitsschub nur unter enger Beobachtung des psychopathologischen Bildes geschehen.

Darüber hinaus sind bei den Serotonin-Wiederaufnahmehemmern Absetzerscheinungen beschrieben, die auch beim Ausschleichen auftreten können. Symptome sind Schwindel, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwitzen und auch Ängste. Zum Teil treten aber auch sensorische Störungen wie zum Beispiel Parästhesien auf, sodass immer wieder Parallelen zum Benzodiazepinentzug gezogen werden.

Da Missbrauchsfälle bei Antidepressiva selten sind, liegen hierfür keine verlässlichen Zahlen vor. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass Drogenabhängige sowohl in Phasen der Rückfälligkeit als auch in drogenabstinenten Phasen Antidepressiva missbräuchlich einnehmen.

Seiteninfo

Text: Prof. Dr. Gerd Glaeske, Dr. med. Rüdiger Holzbach, Daniela Boeschen

Literaturempfehlung

Mutschler, Ernst et al. (2008): Arzneimittelwirkungen. Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.

AKB – Arzneimittelkursbuch 2010/2011 (2010). Fakten und Vergleiche für 17.000 Medikamente. Berlin: Arzneimittel-Verlags-GmbH.

Coupland, C. et al (2011): Antidepressant use and risk of adverse outcomes in older people: population bases cohort study. In: BMJ, 343, d4551.